Rebecca, es geht nicht ohne dich

Wenn mich jemand fragt, erzähle ich gerne, dass ich am Stehplatz und im Theater aufgewachsen bin. Zum Glück fragt dann (meistens) niemand genau nach, was ich damit meine. Was auf das erste Hören so klingt, als wär ich vielleicht insgesamt kulturell gut gebildet, weil ich vermeintlich so oft am Stehplatz in verschiedenen Theatern und Stücken war, heißt übersetzt eigentlich: ich war ungefähr dreimal in der Woche am Stehplatz von einem Theater, in ein und demselben Stück. Manchmal ist mir dieses Zugeständnis fast ein bissi peinlich, weil ich meistens gleich in die Lade mit Verrücktheiten gesteckt werde – „Was? Du hast dieses Stück schon mehrmals gesehen?“. Aber eigentlich finde ich mittlerweile, dass man sich für Leidenschaft und Enthusiasmus nicht schämen muss. Immerhin habe ich, gemeinsam mit meinen wichtigsten Menschen, ein Hobby, für das ich wirklich brenne. Das hat nicht jeder. 

Also gebe ich es gerne zu: für mich (und meine Familie) gilt der Grundsatz beim Musicalbesuch „Einmal ist Keinmal“. Ich schaue Musicals, wenn sie gut sind, gerne öfter an und genieße das sehr. Eine CD hört man ja auch öfter als Einmal an, oder? Und wenn man das Glück hat, so nahe an Wien zu wohnen, so nahe am Musicalparadies mit Orchester, tollen Darsteller:innen, guter Stückauswahl, der Möglichkeit zu Restplätzen oder Stehplätzen, dann darf man seine Leidenschaft ruhig genießen. Ich bin quasi am Stehplatz bei „Rebecca“ im Raimund Theater groß geworden. Mittlerweile, die Besuche der neuen Spielzeit mitgerechnet, habe ich die Show 150 mal gesehen. Klingt verrückt, ist es auch. Aber es ist einfach beeindruckend, wie gute Musik, auch wenn sie einem noch so vertraut ist (oder vielleicht gerade deshalb), den Alltag ausschalten kann. Die Magie, die nur Livemusik in einem finsteren Theater auslösen kann, ist auch nach 150 mal noch genauso da. Oder größer. 

Streng genommen ist „Rebecca“ gar nicht mein allerliebstes Lieblingsstück. Nur das, das ich am öftesten gesehen habe. (Und schon auch eines, das ich sehr sehr gerne mag.) Die Gründe dafür sind umfassend, aber es hatte sehr viel mit der damaligen Darstellerin der Mrs. Danvers, Susan Rigvava-Dumas, zu tun. 

Aber mit „Rebecca“ verbinde ich unzählige Erlebnisse meiner Kindheit. Der Stehplatz im Raimund Theater, der in der Mitte, war unser zweites Wohnzimmer. Ich habe damals Geburtstage mit Mamas selbstgemachten Vanillekipferl im Theater gefeiert. Mehrere Silvester haben wir gemeinsam bei der Bühnentür – mit Punsch und Keksen – verbracht. Die Wettrennen die Theaterstiegen hinauf, um den besten Stehplatz zu ergattern, waren legendär. Für sämtliche Schularbeiten und Tests habe ich mit anderen aus unserer Musicalclique gelernt. Und für einen Musicalfan-Wettbewerb habe ich eine Danvers-Barbie gebastelt.

Ich habe sehr viele Menschen im Theater kennengelernt, die heute zu den wichtigsten in meinem Leben zählen. Meinen Mann beispielsweise habe ich bei einem Theaterprojekt kennengelernt und meine beste Freundin ist bei „We will rock you“ neben mir gesessen. Und das Gute daran ist, dass ich so auch gleich von Menschen umgeben bin, die ähnlich verrückt sind wie ich.

Und auch wenn man glaubt, man ist erwachsen geworden und nicht mehr so verrückt wie als Teenager, man braucht diese „Droge“ nicht mehr oder vermisst ergreifende Theaterabende gar nicht so sehr, dann ist der Zauber noch da. Erst letztens war ich in „Rebecca“. Vom Tag gestresst und erhitzt, eigentlich gar nicht mehr so motiviert für die Vorstellung, aber schließlich war es mit Papa ausgemacht und die Besetzung sehenswert. Und zack, schon beim ersten Ton hat es mich in den Bann gezogen und mir wieder einmal gezeigt, dass ins Musical gehen sehr viel mehr als eine Verrücktheit ist. 

Deshalb sind Kommentare wie „da kannst du ja schon mitsingen“ oder „ist das nicht teuer?“ für mich immer sehr schräg. Ich stelle ja die Hobbys anderer Leute auch nicht in Frage. Über die letzten 18 Jahre gerechnet, haben meine Eltern und ich bestimmt ein kleines Vermögen in Theaterkarten investiert. Und ja, ich kann sehr viele Musicaltexte in- und auswendig. Aber ich kann mir kein Hobby der Welt vorstellen, das in mir so viele Emotionen auslöst. Und wenn ich meine Teenagerzeit statt im Theater in Clubs verbracht hätte, hätte das weit mehr als die 2,50 € für einen Stehplatz pro Abend gekostet. 

Jetzt, 18 Jahre nach meinem ersten Besuch in einem echten Musical, bin ich meinen Eltern wahnsinnig dankbar, dass sie mich in diese Welt mitgenommen haben (mehr zufällig, weil damals kein Babysitter Zeit hatte) und diesen Wahnsinn damals wie heute mit mir genießen. 

2 Antworten auf „Rebecca, es geht nicht ohne dich

Add yours

  1. Ein ehrlicher, berührender Text, danke! Schön, solche Leidenschaft mit den Eltern teilen zu können.
    „Rebecca“ habe ich noch nicht gesehen, und bisher auch nur einige Musicals zweimal, an verschiedenen Theatern. Ich verstehe deine Begeisterung vollkommen und ja, als Erwachsener lässt das Sehnen erstmal nach, aber später kann man es ja wiederfinden. So geht es mir gerade, ich nehme bei uns in Varese jetzt meine Töchter mit in Stücke, die ich früher mal am Broadway, in London, Berlin, Hamburg und … tätä: Wien gesehen habe. Gerade schrieb ich dazu auf meinem Blog. Herzliche Grüße aus Norditalien!

    Like

    1. Danke für deine Gedanken! Wie schön, dass du jetzt mit deinen Töchtern ins Theater gehst! Darauf freue ich mich dann auch schon 🙂 ich hüpf gleich mal rüber zu deinem Blog und stöber ein bisschen. Liebe Grüße Bianca

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑